Dez 09, 2022

Polyneuropathie, Brustkrebs und Therapieplanänderungen

zwei Hände massieren Fußsohle

Polyneuropathie und Brustkrebs - bei den meisten Betroffenen fallen die Begriffe bereits beim ersten Therapiegespräch gemeinsam in einem Satz. Viele Onkologen warnen vor, denn das Ausmaß des Kribbelns in Händen und Füßen kann zu Änderungen im Therapieplan führen.

In der Reihe „50 shades of Polyneuropathie" lassen wir Polyneuropathie-Betroffene zu Wort kommen. Warum? Weil das Thema vielerorts noch recht leichtfertig als eine von vielen Nebenwirkungen der Krebstherapie oder als zu erwartende Folge einer Diabeteserkrankung abgetan wird. Mit der Diagnose können häufig weder die Patient*innen noch die Ärzt*innen oder das Pflegepersonal gut und kompetent umgehen. Die Ausprägungen einer Polyneuropathie sind außerdem derart individuell, dass es kein allgemeingültiges Rezept für Behandlungsmethoden gibt (siehe "Was ist Polyneuropathie"). So sind Betroffene oft dazu angehalten sich selbst zu informieren, Therapien auszuprobieren und sich evtl. stets neu orientieren zu müssen. Mit der Reihe wollen wir Betroffenen eine Stimme geben und eine Plattform für den Austausch schaffen.

Vor Kurzem habe ich mit Diane, Mitdreißigerin und Brustkrebspatientin, gesprochen. Sie ist auf Instagram aktiv bei den regelmäßig stattfindenden #tittitalks und dem @dasbuusenkollektiv. Darüber sind wir mit ihr ins Gespräch gekommen. 

Von der Diagnose zu den Nebenwirkungen

Liebe Diane, bitte zeichne uns doch grob nochmal deine anfänglichen Etappen zur und mit der Diagnose Brustkrebs nach!

Es begann im März 2020, pünktlich mit dem Start in den ersten Lockdown, als ich bei mir ein Knötchen in der Brust ertastet hatte. Zu einem regulären Termin 2 Monate später erzählte ich dann auch meinem Gynäkologen davon. Der machte einen Ultraschall und wurde daraufhin auch gleich ziemlich still. 3 Tage später saß ich bei der Mammografie und der Stanzbiopsie. 2 Tage darauf das Ergebnis: bösartiger Tumor. Diagnose Mammakarzinom.

Dann ging alles ziemlich schnell. Ich habe meinen Port (Venenkatheter) bekommen und am 15.06. meine erste Chemo. Im November war diese erstmal beendet und im Dezember folgte dann die OP. Danach hat man festgestellt, dass noch immer eine geringe Anzahl krebsaktiver Zellen vorhanden war. Es wurde also noch eine Chemo hinterhergeschoben. Von den Nebenwirkungen war diese nicht mehr ganz so einschneidend. Aber der Körper war natürlich trotzdem geschlaucht. Die letzte Chemo endete dann im Oktober ’21. Für die nächsten 8 Jahre steht nun noch Antihormontherapie an.

Diane liegt auf Krankenhausbett nach Brust-OP, Kühlakkus auf operierter Brustseite

Und welche Medikamente bzw. Zytostatika kamen bei der Chemo zum Einsatz?

Die ersten vier Sitzungen bekam ich EC (Epirubicin und Cyclophosphamid). Danach Paclitaxel. Das war das, was an die Nerven ging.

Dann begann die Polyneuropathie...

Genau, deine Erfahrungen mit der Polyneuropathie interessieren uns ja ganz besonders. Das ist das Thema, auf das wir, also Swiss Medical Food, uns spezialisiert haben, wenn es um Nebenwirkungen und Supportive Therapien bei Krebserkrankungen und ihrer Behandlung geht und wozu wir neben den Produkten auch Informationen bereitstellen wollen. Wir sind stets und ständig im Austausch mit Experten und sehen hier leider sehr oft, dass das Thema zwar bekannt ist, es aber doch an vielen Enden noch an umfassendem Wissen dazu fehlt. Es fehlt an Fortbildungen, sowohl für Patient*innen als auch für das Fachpersonal. Und es fehlt vor allem an einer kontinuierlichen Forschung zu Ursachen und angemessenen Behandlungsmöglichkeiten.

Wann sind die ersten Symptome der Polyneuropathie denn bei dir aufgetreten?

Ziemlich schnell, nachdem ich mit dem zweiten Medikament, Paclitaxel begonnen hatte. Das bekam ich dann wöchentlich. Ich glaube, ungefähr nach der 4. oder 5. Einheit hab ich erstmals Symptome gehabt.

Taubheit, Kribbeln und wie sich die Polyneuropathie angefühlt hat

Und wie hat sich die Polyneuropathie bemerkbar gemacht?

Bei mir war es hauptsächlich ein Kribbeln in den Händen. Es war glücklicherweise nie so extrem, dass ich Sachen fallen gelassen habe. Solche Fälle sind mir aber bekannt. Mein Kribbeln war immer besonders zu spüren, wenn ich die Hände ohnehin in irgendeiner Form belastet oder beeinflusst hatte. Beim Geschirrspülen ist es mir immer wieder aufgefallen.

War es nur dieses Kribbeln oder hattest du auch mit Brennen, Taubheit oder Missempfindungen zu tun?

Taubheit hatte ich in den Füßen, in den Zehen. Da war es auch deutlich spürbar. Ich lauf immer schon gerne barfuß. Dabei hab ich es dann auch sehr bewusst wahrgenommen. Dass ich die Bodenfugen gar nicht mehr gemerkt habe oder den Unterschied wechselnder Untergründe. Oder wenn ich mit den Zehen versucht habe, etwas hochzuheben: Das hat sich angefühlt, als wäre so eine Art Frottee-Handtuch dazwischen. 

Wie kann ich mir das denn vorstellen? War das Gefühl permanent da oder kam es eher in Schüben?

Nein, das war permanent da, zumindest an den Füßen. An den Händen, ja da kam es vielleicht eher darauf an, wie sehr ich mich darauf konzentriert habe - also ja, vielleicht mehr in Schüben.

Diane mit Maske bei Chemotherapie, Text: 3 Worte, die deine Polyneuropathie-Zeit beschreiben? Taubheit, Kribbeln, Gereiztheit

Wie die Polyneuropathie behandelt wurde

Wie bist du gegen das Kribbeln und die Taubheit vorgegangen?

Viele schwören ja auf Kühlhandschuhe, während man das Chemo-Medikament verabreicht bekommt. Ich hab das ausprobiert beim ersten Mal. Da die erste Sitzung allerdings länger dauert, ca. 3 h, war das für mich zu intensiv. Ich habe nach 20 Minuten aufgegeben, hatte wirklich Schmerzen an den Händen, weil es so eiskalt war. Ich hab das bei anderen Patientinnen gesehen. Bei denen waren die Handschuhe allerdings nie so eisig. Vielleicht hatte ich da auch einfach Pech mit einer falschen Einstellung oder so. Ich hab, als dann auch die Taubheitsgefühle in den Füßen dazukamen, die Beschwerden in der Chemo-Ambulanz angesprochen. Daraufhin wurde die Dosis der Medikamente reduziert - für die verbleibenden 3 Sitzungen, also ab der 10. Einheit. Ich bekam dann, glaube ich, nur noch 75% oder 80% der ursprünglichen Menge an Paclitaxel.

Ist es dadurch besser geworden?

Besser nicht, aber es hat sich dadurch auch nicht verschlimmert.

Starke Polyneuropathie führt oft zu einem abweichenden oder neuen Therapieplan. Der Erfolg der Krebstherapie kann dadurch negativ beeinflusst werden. Hier findest übrigens mehr zum Thema Chemotherapie induzierte Polyneuropathie

Kurze Zwischenfrage: Hat es denn andere Auswirkungen, wenn man die Dosis so reduziert? Also den ursprünglichen Therapieplan aufgrund der Polyneuropathie ändert?

Das weiß ich nicht. Die Chemotherapien werden ganz unterschiedlich geplant. Das kommt auf die Patient*innen, die Vorerfahrungen und vielleicht auch standardisierte Verfahren an. Die Ärztin meinte damals zum Beispiel, in anderen Ländern wird Paclitaxel nicht jede Woche, sondern nur alle 3 Wochen gegeben. Man kann das schlecht sagen. Das ist eine „Was-wäre-wenn-Frage“ und die wird man nicht beantworten können. Aber ich denke manchmal darüber nach, ob die Therapie damals vielleicht ausgereicht hätte, um alle Krebszellen zu zerstören, wenn die Dosis aufgrund der Polyneuropathie nicht reduziert worden wäre. Therapieplanänderungen sind aber auch nicht unbedingt ungewöhnlich.

Hat dir darüber hinaus noch etwas dabei geholfen, die Symptome zu lindern?

Was mir zeitweise ganz gut geholfen hatte, waren Finger-Akupressur-Ringe. Mit denen hab ich abends vorm Fernseher immer die Finger massiert. Ansonsten Barfußgehen, über Linsen, Massagematten, Stöcke, Steine oder unterschiedliche Materialien laufen, balancieren. In der Reha hab ich dann noch das Vier-Zellen-Bad bekommen, also so eine Art Elektrotherapie. Das hat mir ganz gut geholfen.

Brustkrebspatientin Diane im Krankenbett lächelnd

Wie lange hattest du insgesamt mit der Polyneuropathie zu kämpfen?

Naja, das ist schwer zu sagen. In den Händen ist es ja dann und wann immer noch spürbar. Aber so ein halbes Jahr nach Ende der Chemo haben sich die Beschwerden eigentlich langsam wieder reduziert. Aber das war eher so ein schleichender Prozess. 

Die Krebstherapie und Polyneuropathie in der Retrospektive

Wenn du mit drei Worten deine Therapiezeit zusammenfassen würdest, welche wären das?

Also ich muss sagen, es war nicht alles schlecht. Ich will nicht sagen, ich bin dankbar, aber ich hatte teilweise auch eine wirklich schöne Zeit. Ich hab sie viel besser genutzt. Ich habe viel gelacht. Also wenn ich an die Stunden in der Onkologie denke, während der Chemo – das waren die, wo wir am meisten gelacht haben.

Oh, wie schön. Das rührt mich!

Ja, und sonst, klar, es war auch hart, ne (nachdenklich).

Ich danke dir für deine Ehrlichkeit und Offenheit! Ich glaube, viele entdecken diese Stärke, diesen Optimismus während solch einer Krisenzeit. Ich denke, es ist eine Einstellungs- und Persönlichkeitssache, wie man damit umgeht. Aber bei vielen kippt es eben auch schnell wieder und sie verfallen in negative Gefühle und Hoffnungslosigkeit. Ich finde es gerade ganz wunderbar und beflügelnd, wie du von deiner Zeit berichtest. Danke dir dafür!

"Es ist wichtig, dass man sich austauscht, sich gegenseitig stützt, sich mit seinem Schicksal auch irgendwie auffängt."

Wie geht es dir heute? Ist deine Polyneuropathie geheilt? Lebst du unbeschwert?

Die Polyneuropathie: Also es geht. Es ist viel besser geworden. Wenn ich mich aber darauf konzentriere, wie die Hände sich anfühlen, ist das Kribbelgefühl noch vorhanden, wenn auch nicht mehr so krass wie vor zwei Jahren. Jetzt mit den sinkenden Temperaturen im Herbst merke ich allerdings wieder eine deutliche Verschlechterung. Damit hätte ich nicht gerechnet. Besonders in den Händen ist das Kribbeln wieder stärker wahrnehmbar.
Ich weiß nicht, wie es mit der Polyneuropathie aussehen würde, hätte ich für die letzten 3 Einheiten damals noch die volle Dosis bekommen – vielleicht anders.

Unbeschwertheit? Nein, die fehlt noch. Da sind immer noch Gedanken: Was ist, wenn... Aber es wird, das ist alles im Prozess. Ich bin auf Instagram noch sehr aktiv und mit Betroffenen im Austausch, will wie ihr auch, unterstützen. Ich glaube, es ist für viele hilfreich, wenn sie persönliche Geschichten miterleben können, damit sie auch Ansprechpartner über die Ärzte und Familie hinaus haben, die vertraut sind mit den Gefühlen und Gedanken, die einen während dieser Zeit bewegen.

Stimmt, wir haben gesehen, dass du auch ganz wesentlich an einer Initiative beteiligt bist: @dasbuusenkollektiv mit den regelmäßig stattfindenden #tittietalks. Ihr seid damit Brustkrebspatientinnen eine kompetente, erfahrene und v.a. ganz warme und herzliche Anlaufstelle über die Sozialen Medien. Gleichzeitig unterstützt ihr verschiedene Krebsprojekte.

Ja, ich freue mich, dass ich beim Buusenkollektiv mit an Bord bin. Dort wurde ich über Instagram während meiner Therapie ganz wunderbar aufgefangen und mit Infos versorgt. Das Buusenkollektiv ist mittlerweile von den zwei Gründerinnen auf 8 Mitstreiterinnen gewachsen. Ziel der Organisation ist es, vor allem Brustkrebspatient*innen ein Forum für den Austausch zu ermöglichen, vor allem eben in Form der #tittietalks. Schaut auf jeden Fall mal bei uns vorbei! Dort sprechen wir auch gelegentlich über das Thema Polyneuropathie. 

Liebe Diane, danke für deine lieben Worte, dein Engagement und deine Zeit, uns Rede und Antwort zu stehen 😉. Es war ganz wunderbar! Und wir sind sicher, dass die Community von deiner Transparenz sehr profitiert!

Diane mit T-Shirt

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